Die Orgelkonzerte 2
Die Orgelkonzerte an St. Joseph - Eine französische Enklave in Bonn-Beuel - Teil 2
Von Guido Krawinkel
Aus Anlaß des 300. Orgelkonzertes am 6. Oktober 1996
Ganz am Anfang stand eine Studienreise nach Paris, die Hans Peter Reiners in den 60er Jahren, während seines Kirchenmusikstudiums am Düsseldorfer Robert-Schumann-Institut für seine Kommilitonen organisierte. Hier hörte man sich die berühmten Instrumente von St. Sulpice oder Notre-Dame, die man ansonsten nur vom Hörensagen kannte, einmal vor Ort an. Von diesem Schlüsselerlebnis bestärkt, fing Reiners an, Kontakte zu französischen Künstlern zu vertiefen und neu zu knüpfen, was sich später als sehr nützlich erweisen sollte, als es darum ging St. Joseph zu einem Zentrum für französische Orgelmusik zu machen. In jener Zeit war Reiners Organist und Chorleiter an St. Stephanus in Grefrath und initiierte dort eine Partnerschaft mit der gleichnamigen Pfarre in Paris (St. Etienne-du-Mont). Als er 1971 nach St. Joseph kam, knüpfte er neue Bande nach Paris, der neuen Pfarre entsprechend nun nach St. Joseph, insbesondere zu dem dortigen Organisten Jacques Roux. Viele Male reisten die Chöre beider Pfarreien ins andere Land und sangen dort sowohl Messen als auch Konzerte. Ein Höhepunkt dieser Aktivitäten war die Uraufführung der Messe d-Moll für 4-stimmigen Chor und zwei Orgeln von Roux, die dieser seinem Freund Reiners gewidmet hat. So mag das Interesse an Frankreich im allgemeinen und an französischen Orgeln im besonderen der Vater des Gedankens gewesen sein, sich ein frankophiles Instrument zu bauen.
Bisher besaß St. Joseph nur eine alte Orgel der Firma Klais aus dem Jahre 1903. Diese war in den 50er Jahren dem Zeitgeschmack entsprechend modernisiert worden, d.h., die ursprünglich pneumatische Spieltraktur wurde elektrifiziert und die Disposition durch Mixturen und hohe Aliquote aufgehellt. Doch was barock wirken sollte, machte den Orgelklang extrem durchdringend, mitunter sogar richtig scharf., Hinzu kam, daß die Funktionstüchtigkeit auch durch die Restaurierungsmaßnahmen nicht erhöht worden war und schon bald nach Reiners Dienstantritt in St. Joseph immer häufiger Ausfälle und technische Fehler auftraten. Orgelgutachten aus dieser Zeit sprechen eine deutliche Sprache. So schrieb Kirchenmusikdirektor Clemens Ingenhoven 1971: "... Ich kann mich nicht erinnern, bei Orgeluntersuchungen soviel technische Mängel vorgefunden zu haben...", oder der Orgelsachverständige Wilhelm Krumbach 1 974: "So ist die Intonation ... in unschöner Weise laut, obertonarm, stumpf starr, dick mulmig, um nicht zu sagen brutal; den Stimmen fehlt jede Eigenart und künstlerische Prägung, dem Gesamtklang aller Glanz.“ über das technische System äußerte er sich nur mit den lapidaren Worten: "Sein gänzlicher Zusammenbruch ist hier nur eine Frage von Monaten. Die Orgel hat nur noch Schrottwert." Der Tenor war also einhellig: diese Orgel ist nicht mehr zu retten, eine Restaurierung reinste Geldverschwendung. Das Problem wurde um so dringlicher, als die Orgel kurze Zeit später während eines Gottesdienstes tatsächlich den Geist aufgab und fortan schwieg. Kurzfristiger Ersatz wurde in Form einer kleinen siebenregistrigen Orgel der Firma Oberlinger beschafft, die auch heute noch im Chorraum der Kirche steht. Langfristig gesehen mußte jedoch wieder ein für Kirchenraum und liturgische Erfordernisse adäquates Instrument beschafft werden, weshalb Angebote von verschiedenen Firmen eingeholt wurden. Den Zuschlag erhielt schließlich die Firma Oberlinger aus Windesheim bei Bad Kreuznach. Doch bis die neue Orgel letztendlich erklang, sollten noch einige Jahre vergehen, die mit dem Aufbringen der nötigen finanziellen Mittel und Planungsarbeiten angefüllt waren. So reiste Reiners mit Mitarbeitern der Firma Oberlinger einige Male nach Frankreich, um dort die Vorbilder für die neue Orgel eingehend studieren zu können. Wegen zahlreicher anderer Bauvorhaben, die die Kirchengemeinde St. Joseph in jener Zeit finanzieren mußte, rangierte der Orgelneubau zudem noch lange nicht an oberster Stelle der Prioritätenskala.
In einer Zeitschrift las Hans Peter Reiners 1977 zufällig eine Annonce, in der die evangelische Gemeinde von La-Chaux-de-Fonds in der Schweiz ihre Orgel zum Kauf anbot. Neugierig geworden, schaute er sich das Instrument zusammen mit seinem Pfarrer, Gottfried Richenhagen, an und man kam schließlich überein, es zu kaufen. 1882 von der Firma Kuhn (Männedorf) mit 20 Registern erbaut, war die Orgel trotz geringfügiger Schäden noch in bestem Zustand und bildete nun neben neun Registern, die aus der alten Klais-Orgel übernommen wurden, den Grundstock für den Neuanfang. In Eigenregie - aber unter sachkundiger Anleitung von Hans Peter Reiners und eines Orgelbauers - wurde sie abgetragen und bei der Firma Oberlinger bis zum Beginn der Arbeiten eingelagert. Bis 1981 mußte man sich aber noch gedulden, dann erst wurde das neue, insgesamt 58 Register umfassende Instrument geweiht. Heute - nach einigen Umbauten und Ergänzungen - umfaßt es 61 Register, verteilt auf drei Manuale und Pedal.
Die Disposition wurde, was sich schon am Spieltisch zeigt, im Sinne Aristide Cavaille-Colls gestaltet, dem wohl bekanntesten Orgelbauer der französischen Romantik der so bedeutende Instrumente wie die von Notre-Dame und Samt Sulpice in Paris oder St. Ouen in Rouen erbaut hat. Halbkreisförmig und auf der Höhe des dazugehörigen Manuals sind die Registerzüge angeordnet, die elektrisch funktionieren. Dabei befinden sich, wie im französischen Orgelbau üblich, die Grundstimmen (32', 16', 8', 4') auf der linken Seite der Klaviaturen und alle höher liegenden Register (Aliquote, Mixturen, außerdem die Zungenstimmen) auf der rechten. Letztere stehen auf einer gesonderten Lade (einem mit Wind gefüllten Kasten, in dem die einzelnen Töne von Ventilen und die Register von sogenannten Schleifen angesteuert werden) und können erst erklingen, nachdem sogenannte "Appels" betätigt worden sind. Diese Technik, mit der auch schnelle Registerwechsel ohne weiteres möglich sind, liegt in der oft gruppenweise (z.B. Grundstimmen oder Zungen) vorgehenden Registrierpraxis der französischen Romantik begründet.
Als aus verschiedenen Komponenten bestehender Gesamtorganismus zeichnet sich die Orgel grundsätzlich durch das sorgfältig austarierte Zusammenspiel ihrer Werke aus, von denen jedes seine festgelegten Aufgaben hat. Ein großer Bestand an verschmelzungsfähig intonierten 8' Registern in jedem Manual, die eine vielfältig abschattierte Klangfarbenpalette bereithalten, ist in St. Joseph die Basis des Gesamtklanges, der durch die für den französischen Orgelbau typische hohe Anzahl an Zungenstimmen eine charakteristische Einfärbung erfährt. Über besonders viele Zungenstimmen verfügt das schwellbare Récit (III. Manual), das in einem mit Jalousien versehenen Holzkasten steht, die durch zwei Fußtritte gesteuert werden. Die klangliche Wirkung ist wegen der besonders hohen Schallabsorption dieses Kastens überwältigend und kann sogar noch im Tutti deutlich gehört werden. Im Recit finden sich aber auch Register, die feinste dynamische Abschattierungen erlauben, z.B. das Cor de nuit, eine Voix céleste, bei der mittels zweier geringfügig unterschiedlich gestimmter Pfeifenreihen ein schwebender Effekt erzeugt wird, oder die Eoline, ein extrem enger Streicher. Sowohl durch seine Disposition, die mit drei Grundstimmen, zwei Zungen (Cromorne, Trompette) und einigen Aliquoten reiche Möglichkeiten bietet, als auch durch die Lage als zweites Manual im Spieltisch hat das Positif eine Vermittlerrolle zwischen Recit und Grand-Orgue inne. Seine exponierte Stellung in der Emporenbrüstung und seine farbenreiche Disposition prädestinieren es außerdem zum Spielen eines Cantus-firmus. Die Grand-Orgue (1. Manual) ist mit einer auf dem 16' aufbauenden lückenlosen Prinzipalreihe das Rückgrat des Orgelklanges, das durch eine Trompetenbatterie weiter gestärkt wird. Solistisch einsetzbare Register und Begleitstimmen vervollständigen darüber hinaus die Registerpalette dieses Manuals. Das Fundament der ganzen Orgel wird vom entsprechend viefältig besetzten Pedal gebildet, das als adäquater Partner für einzelne Werke wie auch die ganze Orgel fungieren muß. Auf eine Anregung Pierre Cochereaus hin wurden der Orgel von St. Joseph 1983 noch zwei horizontale Trompeten (Chamades) zugefügt, die wahlweise an Grand-Orgue, Positif oder Pedal angekoppelt werden können.
Um Stimmen eines Manuals auch auf einem anderen spielen zu können, gibt es Koppeln als unentbehrliche Spielhilfen, durch die die Anzahl die möglichen Klangkombinationen noch einmal beträchtlich erhöht wird. Im Recit und Grand-Orgue vorhandene Sub- und Superoktavkoppeln geben der Orgel außerdem zusätzliche Klangfülle. Für Grand-Orgue und Recit gibt es außerdem noch sogenannte Barker-Maschinen. Diese bestehen aus einem System kleiner Bälgchen, die in die mechanische Traktur eingreifen und sie leichter spielbar machen. 650 Setzerkombinationen ermöglichen ebenso viele verschiedene Registrierungen zu speichern und bei Bedarf wieder abzurufen, was insbesondere bei der Konzertvorbereitung wichtige Vorteile bietet.