Die Orgelkonzerte
Die Orgelkonzerte an St. Joseph - Eine französische Enklave in Bonn-Beuel
Von Guido Krawinkel
Aus Anlaß des 300. Orgelkonzertes am 6. Oktober 1996
300 Orgelkonzerte in 15 Jahren, auf diese beeindruckende Bilanz konnte man am 6. Oktober 1996 in St. Joseph, Bonn-Beuel, zurückblicken. Anläßlich dieses Jubiläums gab es an der Oberlinger-Orgel ein Mammutkonzert von 300 Minuten Dauer - eine Minute für jedes vorangegangene Konzert also. Nicht nur Insidern in der Orgelszene ist St. Joseph seit vielen Jahren ein Begriff, der Name ist mittlerweile in Bonn, aber auch weit über die Region hinaus zum Synonym für Orgelmusik geworden. Etliche Konzertbesucher reisen von weither an, und schriftliche Anfragen kommen aus aller Welt, ebenso wie viele Organisten, die in St. Joseph gastieren.
Angefangen hatte alles am 2. Mai 1981 mit der Weihe der dortigen Orgel. Hierfür hatte Hans Peter Reiners, der am 5. Oktober auch sein 25jähriges Dienst und Ortsjubiläum als Organist an St. Joseph feierte, eine umfangreiche Serie von Veranstaltungen organisiert, die sich über zwei Monate hinzog und das neue Instrument in Gottesdienst, Andacht und Konzert vorstellen sollte. Er konnte eine ganze Reihe von namhaften Organisten für die Teilnahme an diesem Ereignis gewinnen, darunter z. B. Pierre Cochereau, den damaligen Titularorganisten von Notre-Dame in Paris und Daniel Roth, Organist an der Pariser Kirche Sacré Coeur.
Das einmal begonnene Werk setzte Reiners nun damit fort, regelmäßig Konzerte zu veranstalten: an jedem ersten Sonntag im Monat und dazu noch zweimal im Jahr im Mai und November sogenannte Orgeltriduen, drei Konzerte in einer Woche, die in Anlehnung an die stilistische Ausrichtung der Orgel ausschließlich französischen Interpreten vorbehalten sind. An diesem Rhythmus hat sich bis heute nichts geändert, ob die Termine nun auf Karneval oder mitten in die Sommerferien fallen. Die Konzerte in St. Joseph sind aber nicht nur durch diese rigorose Termindisziplin, auf die man sich stets verlassen kann, zu einer festen Größe im Bonner Kulturleben geworden.
Schaut man sich einmal die Namen der hier konzertierenden Organisten an, so läßt sich etwas von dem Renommee erahnen, das sich die Orgel und ihr Organist auch in Fachkreisen erworben haben; Interpreten wie Olivier Latry, Jane Parker-Smith, Ben van Oosten, Jean Guillou oder Pierre Pincemaille geben sich hier die Klinke in die Hand. Zu ihren Lebzeiten waren auch die mittlerweile verstorbenen Maitres - mit diesem Titel bedenkt man in Frankreich gerne bekannte Organisten - Jean Langlais, Gaston Litaize, André Fleury oder Yves Devernay häufig in St. Joseph zu Gast. Viele Interpreten kommen immer wieder, sei es weil ihnen die Orgel besonders gut gefällt, oder sie die dortige familiäre Atmosphäre schätzen gelernt haben. Mit den meisten von ihnen ist Hans Peter Reiners, bei dem zu Hause die Organisten während ihres Aufenthaltes in Bonn auch wohnen, inzwischen per "du".
Ohne Reiners' großes persönliches Engagement wäre die Erfolgsgeschichte von St. Joseph wohl nur schwer vorstellbar. Er ist für die ganze Arbeit verantwortlich, die von der Korrespondenz mit den Organisten über deren Betreuung bis hin zur Werbung für die Konzerte reicht. Sein Idealismus ist sozusagen die treibende Kraft all dieser Unternehmungen. Unterstützung erfährt Reiners dabei von einer Schar ehrenamtlicher Helfer, die Plakate kleben, Handzettel verteilen und sich um die Gastorganisten kümmern, sowie durch den von ihm gegründeten Verein der Orgelfreunde an St. Joseph, e.V., der sich ausschließlich aus Mitgliederbeiträgen und Spenden finanziert. Große Sprünge kann man sich insgesamt aber nicht erlauben, da die Konzerte unabhängig von den finanziellen Etats der Kirchengemeinde veranstaltet werden. Ein Großteil des Erreichten beruht also auf Eigeninitiative und einem auch nach 15 Jahren noch ungebrochenen Idealismus.
Den hatte man auch schon nötig, als man mit der Planung des am französisch-romantischen Orgelbau orientierten Instrumentes begann, das seiner Zeit zweifelsohne voraus war. Damals waren die Nachwehen der eher am norddeutsch-barocken Orgelbau orientierten sogenannten Orgelbewegung, die ihren Ursprung in den 20er Jahren hatte und deren Ideen u.a. von Hans Henny Jahnn und Albert Schweitzer vertreten wurden, allenthalben zu spüren. Romantische Orgeln erfreuten sich im allgemeinen keiner großen Beliebtheit und wurden als Produkte einer vor allen Dingen von Dekadenz geprägten Phase des Orgelbaus angesehen. Viele wertvolle Dokumente dieser Epoche wurden entweder verschrottet oder durch "Barockisierungen" derart entstellt, daß von ihrem ursprünglichen Klang nicht mehr viel übrig blieb. Erschwerend kam im Falle von St. Joseph noch hinzu, daß in Deutschland auch noch am Anfang der 80er Jahre sowohl französische Orgeln als auch Orgelmusik noch relativ unbekannt waren und nur wenige Organisten Musik von Cesar Franck, Charles-Marie Widor oder Louis Vierne auf dazu meistens völlig ungeeigneten Instrumenten spielten. Um in diesen Zeiten eine romantische und dazu noch eine französisch-romantische Orgel zu planen1 bedurfte es in der Tat einigen Wagemuts. Schaut man sich dagegen einmal heute in der deutschen Orgellandschaft um, so sind derartige Instrumente beileibe keine Seltenheit mehr. Im Gegenteil, sie kamen im Laufe der Jahre sogar regelrecht in Mode, so daß die Orgel von St. Joseph gewissermaßen als einer der Vorläufer dieser Entwicklung anzusehen ist. Aber wie kam man damals überhaupt auf die sicher nicht gerade auf der Hand liegende Idee, eine derartige Orgel zu bauen?